Im Umfeld einer kritisch gewordenen Autorität des literarischen Textes betont Elfriede Jelinek wiederholt den Bezug von Text und Inszenierung. So heißt es beispielsweise in «Ein Sportstück» (1998) in den einleitenden Regiebemerkungen: «Die Autorin gibt nicht viele Anweisungen, das hat sie inzwischen gelernt. Machen Sie, was Sie wollen.»
«Exit, pursued by a bear»
Die Zahl der Handlungen, die von einem literarischen Text als perlokutionäre Nachspiele gestiftet wird, ist potenziell unendlich. Zwei berühmt gewordene Regiebemerkungen seien exemplarisch für die Bandbreite möglicher Transformationen erwähnt: Die eine ist William Shakespeares kurze Regiebemerkung in seinem 1611 uraufgeführten Dramentext «The Winter’s Tale». Hier ist im dritten Akt zu lesen: «Exit, pursued by a bear». Die Literatur- und Theaterwissenschaft zerbricht sich bis heute den Kopf darüber, wie diese Regiebemerkung von Shakespeare im Detail aufzufassen ist und wie sie im 17. Jahrhundert auf der elisabethanischen Bühne umgesetzt wurde. Ebenfalls seit über 400 Jahren wartet das mit dem Stück vertraute Publikum in der Aufführung von «The Winter’s Tale» darauf, wie die knappe Angabe im dritten Akt durch die Inszenierung realisiert wird.
«Atlanta burns»
Eine zweite ‹Berühmtheit› unter den Regiebemerkungen ist nicht verschriftlicht, sondern wird unter Filmschaffenden mündlich überliefert. Die Zwei-Wort-Regiebemerkung «Atlanta burns» bezieht sich auf die Angaben zur herunterbrennenden Stadt im Drehbuch-Skript zum 1938 produzierten und 1939 herausgekommenen Film «Gone with the Wind». Dabei handelt es sich um eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Margaret Mitchell (1936). Die Umsetzung der in einem Inferno untergehenden Stadt Atlanta kostete nicht nur enorme Summen, sondern erforderte ebenso wochenlange Vorbereitungen und höchste Sicherheitsvorkehrungen auf dem Set. Als die Szene gedreht wurde, gingen 16 Hektaren Fläche sowie Ausstattungsteile anderer Filme wie «King Kong» oder «The Garden of Allah» in Flammen auf. Die Regiebemerkung «Atlanta burns» wird in der Filmindustrie als Insiderwitz verwendet. Mit den zwei Worten, die so nicht im originalen Drehbuch stehen, wird darauf aufmerksam gemacht, dass Drehzeit und Aufwand für eine Szene nicht in Abhängigkeit von der Textlänge im Drehbuch stehen müssen. Zwei Wörter können Millionenbeträge kosten.
Zwei Wörter – und eine Stadt brennt, ein Bärenauftritt – und über 400 Jahre Rätselraten. Diese zwei Beispiele von bekannten Regiebemerkungen illustrieren einerseits die Lenkungsmacht von Sprache und Schrift. Andererseits machen sie auf die Unabsehbarkeit der Effekte aufmerksam, mit denen Schreibende zu rechnen haben, wenn sie zur Steuerung eines Geschehens Schriftliches zum Einsatz bringen.
Text von Serge Honegger: Auszug aus der Studie «Lenkung und Ablenkung», Schwabe-Verlag Basel, 2019, S. 17 und 18