DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL – SINGSPIEL VON WOLFGANG AMADEUS MOZART
Musikalische Leitung: Otto Tausk
Inszenierung: Johannes Schmid
Bühne und Kostüme: Michael Kraus
Licht: Andreas Enzler
Dramaturgie: Serge Honegger
Theater St.Gallen
Premiere: 13. September 2014
Fotos: © Theater St.Gallen / Andreas J. Etter
Texte: © Theater St.Gallen / Serge Honegger
VERTRAUTES UND FREMDES
Auszug aus dem Interview im Programmheft mit Chefdirigent Otto Tausk
SH: Wie überträgt sich der konkrete Anlass für eine Komposition in die heutige Gegenwart, 232 Jahre nach der Uraufführung?
OT: Mozart hat immer sehr spontan auf Dinge reagiert. Das sollte uns dazu ermutigen, das Gleiche zu tun. Es gibt nicht nur einen Weg, seine Musik zu spielen. Wichtig scheint mir, dass man immer im Auge haben sollte, mit wem man spielt, wo die Aufführung stattfindet und an welchem Punkt man im eigenen Leben steht. Man kommt nie an den Punkt, wo man sagen kann: Das ist jetzt das endgültig Richtige.
SH: Ist es besser, keine Pläne zu haben und immer ein gewisses Mass an Ungewissheit zuzulassen?
OT: So würde ich das nicht formulieren. Ich versuche, die grossen Entscheidungen vorzubereiten und beschäftige mich intensiv mit den Details. Aber in der Aufführung muss ich loslassen und das Wissen vergessen, um den Moment wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
SH: In der «Entführung aus dem Serail» fällt eine Farbe von Mozarts Musiksprache ganz besonders auf: Wie interpretieren Sie die Janitscharenklänge?
OT: Dieser «türkischen Musik» wird man nicht gerecht, wenn man sie nur als lustigen Effekt, bestehend aus Triangeln, Schlagwerk und Piccoloflöten, versteht. Ich erkenne einen Zusammenhang zwischen dem türkischen Element in der Partitur und der Singspielhandlung: Da gibt es diese zutiefst verunsicherten Liebenden, die nicht mehr sich selber, geschweige denn ihrem Gegenüber vertrauen. Ihre Welt ist nicht mehr stabil. Wenn man das in Beziehung zu dieser – vor allem auch in Mozarts Zeit – fremd klingenden Musik setzt, stellt sich heraus, dass die Janitscharenmusik nicht einfach «tschingbumm» ist, sondern die Erschütterungen im Beziehungsgefüge illustriert. Mit Politik hat diese Musik meiner Ansicht nach wenig zu tun, sondern damit, dass das Leben grundsätzlich aus Vertrautem und Fremdem besteht.
SH: Gibt es eine Stelle, wo Sie sagen könnten: Hier haben wir bereits den späteren Mozart?
OT: Die erste Note! Der Beginn ist unverwechselbar, er kommt unerwartet und ist frisch und zielt direkt auf die Handlung. Dieses Pure ist es, weshalb es so spannend ist, immer wieder zu den Klassikern zurückzukehren, auch weil sich die meisten bedeutenden Komponistinnen und Komponisten in irgendeiner Weise auf sie berufen. Die Klassik ist jene Epoche, wo vieles von dem herkommt, was wir auch heute noch unter kultureller Identität verstehen. Wenn ich auf eine einsame Insel auswandern müsste, würde ich eine Mozart-Arie mitnehmen.